Der Chorro - Weg der Inkas durch die Anden

Die ersten Höhenmeter
Die ersten Höhenmeter

TAG 1
Während unseres Aufenthaltes in Bolivien wohnen wir bei Marc und Jesmmy (Er echter Bremer & mein Bruder im Geiste, sie echte Bolivianerin), die 2 Tage vor dieser Tour auf dem Chorro geheiratet haben. DAS nenne ich mal eine Hochzeitsreise!

Wir starten früh morgens gegen 0530 Uhr und werden von einem Taxi bei Marc und Jesmmy zuhause abgeholt. Der gute Mann bringt uns in einen Nationalpark nördlich von La Paz; die Fahrt verläuft recht unaufregend, bis wir an eine Art Zollstation kommen. Ab hier beginnt der Nationalpark und die Passage mit dem Auto ist nur mit einer Genehmigung möglich. Der Fahrer hatte uns natürlich versichert, er habe eben diese Genehmigung, aber entweder hat er sie nicht oder dem Parkranger ist sie nicht ausreichend. Wir werden Zeuge einer echt bolivianischen Situation: der Ranger erklärt sich bereit, ganz unbürokratisch eine mündliche Genehmigung zu erteilen, sofern wir eine "Sondergebühr" direkt an ihn bezahlen. Die landet natürlich samt und sonder in seiner höchsteigenen Gebührenkasse. Also ziehen wir 10 USD aus der Tasche, bezahlen und dürfen weiter. Wenig später erreichen wir unser Ziel: eine Hütte der Parkverwaltung, in der wir uns in ein Buch eintragen müssen. Von hier an geht es endlich zu Fuß weiter - der zu überquerende Pass ist etwa 800m entfernt, allerdings inklusive geschätzten 200 Höhenmetern. "Pipifax", denkt sich der geneigte Trekker und jagt los, zumal es schweinekalt ist und ein unerbittlicher Wind pfeift.

Wir merken sehr schnell (nach ca. 100 Metern), daß wir auf etwa 4600 Metern sind, denn meine Pumpe bollert wie verrückt. Nach etwa 20 Minuten sind wir aber am Pass angekommen und blicken ins Tal - ein toller Anblick: unser Weg schlängelt sich durch Täler der umliegenden, verschneiten 6000er. Ab jetzt gehe es nur noch bergab, so verkündet Marc, und wir sollen später feststellen, daß er dreist gelogen hat. Ein Mitglied unserer Vierergruppe, welchen unerkannt bleiben möchte, weiht erstmal einen der großen Felsblöcke ein und erklärt diesen zur "Sperrzone wegen ABC-Alarm" und zwar für mindestens eine Woche. Egal, wir wollen eh los.

Der Weg verläuft zunächst genau am Abgrund entlang und wir kommen rasch vorwärts. Unglaublich, daß die Indios diese teils sehr steilen Fußwege seit Jahrhunderten benutzen, denke ich und schon kommt uns eine Karawane von Indios samt Lamas entgegen. Jesmmy unterhält sich kurz mit ihnen, wir geben den Kindern je ein Bonbon und gehen weiter. Nach etwa 2 Stunden erreichen wir eine alte Inka-Ruine, die wir bereits seit 1 Stunde von oben sehen konnten und aus zwei ehemaligen Gebäuden besteht.

Wir ziehen in eine der Ruinen ein, schlagen hier unser Pausenlager auf und setzen das erste Süppchen auf. Während es vor sich hin köchelt, erkunden wir die Ruine und finden in der Umgebung diverse kleine Haufen, die bei näherer Betrachtung keinen Zweifel zulassen: wir haben uns natürlich die FASLCHE der beiden Ruinen zum Pausieren aus gesucht. Egal - das Wetter ist traumhaft und der Ausblick noch besser. Der Weg führt uns weiter entlang eines Flusses und die Höhenmeter lassen wir hinter uns. Je weiter wir kommen, desto wärmer wird es, die strahlende Sonne tut ihr übriges, um uns ins Schwitzen zu bringen.

Nach ca. 3 Stunden wird der Trampelpfad zu einem gepflasterten Weg - diese Steine wurden tatsächlich vor Jahrhunderten hier plaziert; ich versuche mir vorzustellen, wer hier wann und warum schon diesen Weg gegangen sein mag. Leider ist es äußerst anstrengend hier zu laufen, denn die Steine bilden keine einheitliche Oberfläche. Beim Laufen kann man sich keine Unaufmerksamkeit leisten, sonst ist ein Umknicken oder schlimmeres fast vorprogrammiert.

Einen Fluß furten
Einen Fluß furten

An einer Art bewirtschafteten Schutzhütte treffen wir auch andere Backpacker, die allerdings eine geführte Tour machen und von einem eigenen Koch begleitet werden, der gerade das Essen zubereitet. Auch wir machen eine kurze Pause und ich bin froh, nur mit meinen Freunden unterwegs zu sein: eine gebuchte Tour schmälert das persönliche Empfinden -zumindest meines- von Abenteuer irgendwie.

Der Bach, der neben unserem Weg dahinplätschert, verbreitert sich merklich und ist nach weiteren 2 Stunden zu einem respekteinflössendem Bergfluss angewachsen. Wir durchqueren ein paar Dörfer, die diesen Namen kaum verdienen: ein paar Hütten mitten im Nirgendwo, mit der Aussenwelt nur durch diesen Trail verbunden. Ein alter Mann hält uns in einem dieser Dörfer an und verlangt Wegezoll. Da Jesmmy und Marc hinter Albi und mir geblieben sind und erst in ein paar Minuten hier eintrudeln, gestaltet sich eine Diskussion über die Legalität einer soclehn Forderung schwierig.

Wir verstehen durch seine Gestik zwar, was er will, sein Verständnis über unser Unverständnis hält sich aber schwer in Grenzen. Endlich kommen die beiden angetrabt und Jesmmy diskutiert sofort mit dem selbsternannten Zöllner. Man einigt sich schliesslich: Jes drückt ihm einfach 15 Bolivianos in die Hand und geht weiter. Der gute Mann lamentiert lauthals bis Jes ihm äußerst nachdrücklich zu verstehen gibt, daß "nun Feierabend ist und wir keine dämlichen Touris seien (ach - nicht?), die man über den Tisch ziehen kann". Zumindest sagt sie, sie hätte dies gesagt. Ruhe ist's und weiter geht's.

Etwa 30 Minuten hinter dem Zöllnerdorf suchen wir uns eine Stelle für unser Lager; vom Weg aus sehen wir ein flaches Plateau am anderen Ufer, das uns geeignet scheint. Wir durchqueren den Fluss und schlagen unsere Zelte auf. Ein kurzer Blick, und der Donnerbalken wird örtlich bestimmt - ein zweiter Blick und wir sehen, daß überall trockener Tierkot (von Eseln, sagt Marc) herumliegt. Marc und ich schauen uns an - zwei alte Pfadfinder, ein Gedanke: Kochen auf Kacke.

Das Ergebnis ist eher ernüchternd - es glimmt, aber brennt nicht richtig; trotzdem ist es natürlich sehr pfadfinderisch, urig dazu und die Suppe bekommen wir allemal damit warm.

Wir verweilen noch ein wenig am Kack-Feuer (höhö) und gehen dann schlafen... Die Stiefel kommen mit ins Zelt, um am nächsten morgen keine ungebetenen Gäste in selbigen zu finden; Schlangen und Skorpione seien hier nicht ungewöhnlich, so Marc. Gute Nacht.

Indiana-Jones-Brücke :-)
Indiana-Jones-Brücke :-)

TAG 2
Nach einer Wäsche am Fluss am nächsten Morgen packen wir unsere Zelte ein und begeben uns wieder ans andere Ufer. Die Vegetation ändert sich merklich, es wird grüner - SEHR grün. Hatten wir am Abend zuvor noch Mühe, ein paar Äste für's Feuer zusammen zu suchen, kommen wir nun den Subtropen Schritt für Schritt näher. Entsprechend warm ist es auch, also verschwinden Fleece und Mütze im Rucksack. Der Trail schlängelt sich meist auf halber Höhe der Bergketten entlang; ganz schön schlau, die alten Inkas. Von hier hat man einen grandiosen Überblick und ist trotzdem weder vom Fuß des Berges noch vom nächsten Pass zu weit entfernt - strategisch klug. Wir müssen den Fluss diverse Male über grioße Hängebrücken queren - stilecht, Indy Jones hätte es nichgt anders gemacht. Allerdings sind diese Brücken recht neu, so daß es gefährlicher aussieht als es ist. Nach einem langegezogenen Abstieg folgt ein knackiger Aufstieg: die sogenannte Teufelstreppe, wie uns Jesmmy verkündet. So teuflisch sieht sie gar nicht aus, denke ich. Ist sie aber: zum einen, weil sie kein Ende nehmen will und zu anderen, weil die Stufen exakt 3 meiner Schrittlängen auseinander liegen. Das heißt, ich muss jede Stufe mit dem gleichen Fuß betreten; das höst sich unspektakulär an, aber wenn man 45 Minuten seinen Körper (ca. 90 kg) plus Gepäck (ca. 15 kg) mit dem gleichen Fuß stemmt, dann geht das auf die Hüfte. Ich fluche wie ein Seemann. Irgendwann aber ist auch der Aufstieg geschafft und wir nähern uns dem nächsten Etappenziel: San Francisco. Dieses Ziel stellt sich Ansammlung von 3 Hütten heraus, die umgeben sind von einer Bananenplantage. Ich frage mich, wie die Einheimischen die Felder bewirtschaften, denn diese sind natürlkich an den Berghängen, die steiler sind als sie aussehen.

In San Francisco legen wir eine Pause ein und ein kleines Männchen lugt aus einem Bretterverschlag hervor. Ich gehe hin, sage freundlich "hola" und stelle fest, daß dies hier wohl der örtliche Kiosk ist: ein paar Colaflaschen unbekannten Herstellungsdatums stehen ausgeblichen auf einem Brett und daneben: Zigaretten. Weltklasse! Eigentlich wollte ich mal gesund leben, zumindest auf dem Chorro, aber ich hab Schmacht. Also frage ich, was er denn für eine der beiden Schachtel haben will: er überlegt ausgiebig, wägt wohl innerlich eine Verkaufskalkulation ab und macht mir ein gewagtes Angebot: 7 Bolivianos (ca. 0,70 Euro) Ich gebe ihm 10 und weil er nicht wechseln kann, stimmt es so. Ich vermute, die Kippen wurden zu Zeiten Che's hergestellt, denn genau so schmecken sie - ein Traum, solche Männerfluppen. Nach einer halben Stunde und 2 Zichten geht es weiter, wir verlieren mächtig Höhenmeter und der Trail schlängelt sich nach und nach durch den Urwald. Manchmal ist der Weg nur zu erahnen, und dies zuammen mit der Kulisse und den dazugehörigen Urwalgeräuschen ist schwer beeindruckend. Am späten Nachmittag erreichen wir ein weiteres kleines Dorf, welches fast an ein Bergdorf im Allgäu erinnert: schöne, gepflegte Hütte umrahmt von gewaltigen Bergen und grün, wohin das Auge blickt. Da oben, sagt Marc und zeigt auf einen direkt vor uns liegenden Berg, sei ein nettes Plätzchen zum Zelten. Noch etwa 30 Minuten seien es. Nun gut. Anscheinend ist der gute Marc schon so lange hier in Bolivien, daß er sich dem Zeitempfinden der Einheimischen angepasst hat: nach 1 1/2 Stunden wirklich knackigen Aufstiegs - es mittlerweile stockduster - finden wir das versprochene Plateau und stellen unsere Zelte auf. Essen, rauchen, dem-Ruf-der-Natur-folgen-und-nicht-in-die-Antworten-der-anderen-latschen, dann ab in den Schlafsack.

TAG 3
Heute werden wir Coroico erreichen, das Ziel unseres Trails. Bis dahin sind es aber noch etliche Kilometer und wir machen uns gegen 10 Uhr auf den Weg. Wieter geht es durch den Urwald und wenn man nicht nur auf den Weg schaut, so sieht man dann und wann alte Ruinen, die der Regenwald sich einverleibt hat. Wahrscheinlich sind wir schon an diversen solcher Ruinen vorbeigelaufen, ohne sie zu bemerken. Albi läuft ganz hinten und ich verlasse mich darauf, daß er (der schon seit dem ersten Tag auf Ruinen geiert), sie fotografiert; Pustekucken, Albi hat sie leider gar nicht bemerkt und somit keine Fotos gemacht. Der Trail wird im Laufe des Nachmittages sehr eintönig und bedrückend dazu: wir laufen die letzten 2 bis 3 Stunden durch und über verbrannte Erde. Ganze Berghänge sind völlig abgebrannt und von dem beeindruckendem Grün ist nichts mehr zu sehen. Es sieht fürchterlich aus und hier bekommt man ein Gefühl dafür, wie sehr man die Natur als selbstverständlich ansieht. Eine außer Kontrolle geratene Brandrodung eines Bauers soll dafür verantwortlich sein, erfahren wir später. Trotz der fürchterlichen Auswirkungen dieser versuchten Brandrodung verkneifen wir uns alle eine innerliche Verurteilung; denn wer hier war weiß: die Menschen, die hier leben, haben keine große Auswahl, wie sie ihr Überleben sichern können.

Es wird rasch dunkel und Jesmmy ist langsam am Ende ihrer Kräfte, wir drei Männer wechseln uns ab und einer von uns geht immer neben bzw hinter ihr, sowohl zur molalischen Unterstützung als auch zum Antreiben.

Gegen 20 Uhr erreichen wir das Ende des Trails, es ist ein größeres Dorf mit Straßenanbindung nach Coroico. Wir genehmigen uns beim örtlichen Kaufmann ein Bier, organisieren ein Fahrer samt Jeep, der uns nach Coroico bringen soll und treffen dort auch gegen 21.30 Uhr ein. Es ist geschafft: der Chorro liegt hinter uns.